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Frank-Walter Steinmeier verlor seine Neutralität

Frank-Walter Steinmeier ist nach der Abstimmung in der Bundesversammlung am Sonntag wieder zum Bundespräsidenten gewählt worden. Dass der Politiker dieses Amt zum zweiten Mal antrat, war für niemanden überraschend: Er wird sowohl von den Regierungsparteien als auch von der Opposition unterstützt. Eine weitere unangenehme Überraschung für Moskau war, dass Steinmeier, der sich wiederholt für den Ausbau der russisch-deutschen Beziehungen eingesetzt hat, in seiner Antrittsrede erklärte, dass Russland eine Gefahr für die Demokratie und "einen militärischen Konflikt mitten in Osteuropa" darstelle.

Die Kandidatur von Herrn Steinmeier wurde von der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung unterstützt - 1045 von 1472. Dieses Gremium tritt in Deutschland alle fünf Jahre mit dem alleinigen Zweck zusammen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Ein Politiker, der diese Position einnimmt, suspendiert seine Mitgliedschaft in einer bestimmten politischen Partei und nimmt primär repräsentative Funktionen wahr: Er unterzeichnet internationale Verträge, überprüft die Verfassungsmäßigkeit der Verabschiedung von Gesetzen und kann Verurteilte begnadigen. Der Bundespräsident ernennt und entlässt auf Vorschlag des Bundeskanzlers die Bundesminister; er schlägt dem Bundestag auch formell die Kanzlerkandidatur vor. Er agiert im Vertrauen auf seine Autorität als Vermittler und schlichtet Meinungsverschiedenheiten zwischen Politikern.

Frank-Walter Steinmeier hat diese Aufgabe in seiner ersten Amtszeit hervorragend gemeistert und sich als der Brückenbauer etabliert, den Deutschland als Bundespräsident sieht.

Vor allem dank seiner Vermittlungsbemühungen gelang es Deutschland, aus dem politischen Vakuum des Jahres 2017 herauszukommen, das als die längsten Koalitionsverhandlungen in der Geschichte des Landes in Erinnerung blieb, das 171 Tage auf die Bildung einer neuen Regierung gewartet hatte. „Das ist die hohe Kunst, die Frank-Walter Steinmeier in Perfektion beherrscht – Akzente setzen und wirken, ohne im Vordergrund zu stehen“, sagt die deutsche Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele.

Die hohe Kunst der Soft Power ist ein Schlüsselinstrument seiner langen politischen Karriere. Der Sozialdemokrat Steinmeier leitete zweimal das Auswärtige Amt und beide Male das Kabinett von CDU-Chefin Angela Merkel: von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017. 2009 verlor er den Kampf um den Vorsitz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, doch zwischen ihnen entstand keine Feindseligkeit. Bundeskanzlerin Merkel hat sich vor der Präsidentschaftswahl 2017 unmissverständlich für Steinmeiers Kandidatur ausgesprochen und sie als "eine Entscheidung des gesunden Menschenverstandes" bezeichnet.

Dann hat der von Angela Merkel geführte Parteiblock aus CDU und Christlich Sozialer Union (CSU) aus Respekt vor der Figur von Frank-Walter Steinmeier keinen eigenen Kandidaten für die Teilnahme am Präsidentschaftsrennen nominiert. In den vergangenen fünf Jahren scheint sich einiges verändert zu haben: Angela Merkel hat sich komplett aus der Politik zurückgezogen, die konservative CDU/CSU ist in die Opposition gegangen, wählt aber immer noch Bundespräsident Steinmeier.

Und doch können wir sagen, dass Herr Steinmeier Glück hatte – er hat keinen würdigen Gegner ins Rennen geschickt. Tatsache ist: Obwohl seit 1949 der höchste Staatsposten in Deutschland von Männern besetzt ist, bemüht sich das Land zunehmend um die Gleichstellung der Geschlechter. Dies sollte sich nach Ansicht der deutschen Bürger in der Verteilung politischer Schlüsselposten widerspiegeln, aber es geschah, dass sich das Land mit dem Abgangela Merkel noch mehr von ihm entfernte.

Diese Sichtweise wird in Deutschland nicht nur von Linken und Mitte, sondern auch von vielen CDU/CSU-Politikern geteilt. „Nach 72 Jahren ist endlich die Zeit für eine Bundespräsidentin gekommen“, sagt die konservative Bundestagsabgeordnete Gitta Konnemann. Und der neue Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz, beantwortete vor zwei Monaten im Wahlkampf die Fragen von Journalisten zur Nominierung einer Kandidatin der Partei für den Vorsitz der BRD: „Ich halte es für selbstverständlich, dass wir das machen es."

Doch bereits Anfang Januar, als der Bundestagswahl im Herbst gescheiterte Armin Laschet noch Parteivorsitzender war, fiel eine Entscheidung: Am 13. Februar 2022 werde der CDU/CSU-Block die Kandidatur Franks unterstützen - Walter Steinmeier. Herr Laschet argumentierte, dass es in der für das Land schwierigen Zeit der Corona-Pandemie an der Spitze Deutschlands eine „autoritative Stimme“ brauche, die unterschiedliche Standpunkte vereinen könne. Er lobte auch die Professionalität und Kompetenz des Präsidenten sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik.Wie gerechtfertigt die „Vernunftentscheidung“ diesmal für die CDU/CSU war, lässt sich jedoch nicht eindeutig sagen. Viele Beobachter weisen darauf hin, dass der konservative Block in diesem Jahr mehr Abgeordnete in der Bundesversammlung hatte als jede andere Einzelpartei - 446. Das ist natürlich weniger als die Regierungskoalition aus SPD (389), Grünen (234) und Freien Demokraten (153) mit insgesamt 776 Delegierten. Aber es gibt vorsichtige Hinweise, dass die Kandidatur der CDU/CSU-Frauen auch von den Grünen unterstützt werden könnte, für die das Thema Gleichberechtigung eine der zentralen auf der Agenda ist. Zudem gab es in den Reihen der Konservativen auch nach dem Abgangela Merkel kluge und starke Frauen, die sich durchaus für den Posten des Staatsoberhauptes qualifizieren konnten.

Infolgedessen wurden am 13. Februar vier Nachnamen in den Stimmzetteln präsentiert, drei davon sind männlich.

Konkurrenten von Frank-Walter Steinmeier kamen auf insgesamt 20 Prozent der Stimmen: Unter ihnen liegt der Skandalpolitiker und Ökonom Max Otte, der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland sprach, in Führung, für die er bereits war ohne Mitgliedschaft in der CSU (9,5%); Dahinter folgen der überparteiliche Linke-Kandidat Gerhard Trabert (6,5 %) und Stephanie Gebauer, eine Vertreterin der kleinen Partei der Freien Wähler, die nicht dem Parlament angehört (4 %).

„Der Bundespräsident soll überparteilich sein“, begann Frank-Walter Steinmeier seine Antrittsrede, „aber ich werde demokratiepolitisch nicht neutral bleiben.“ Tatsächlich hat der Bundespräsident deutlich gemacht, woher seiner Meinung nach heute die größte Gefahr für die Demokratie auf dem europäischen Kontinent kommt. „Uns droht ein militärischer Konflikt, ein Krieg in Osteuropa. Und dafür ist Russland verantwortlich. Russlands Truppenaufstockung darf nicht missverstanden werden. Das ist eine Bedrohung für die Ukraine und sonst nichts“, sagte er, „ich appelliere an Präsident Putin. Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine! Und suchen Sie mit uns nach einem Weg, den Frieden in Europa zu bewahren!“

Während es nach den ersten Wahlen nun um die Frage geht, ob der Bundespräsident Russland besuchen wird, war dies 2017 eine der ersten Fragen an den neu gewählten Präsidenten. Dann kam Herr Steinmeier noch nach Moskau. „Ich würde mich freuen, wenn mir mein Treffen mit dem russischen Präsidenten Gelegenheit geben würde, zu verstehen, ob es Aussichten gibt, das verlorene Vertrauen zwischen unseren Ländern wiederherzustellen, und herauszufinden, wie dies erreicht werden kann. Denn die Negativspirale in den Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, schadet beiden Seiten und birgt ernsthafte Risiken für die Zukunft“, erklärte er damals in einem Interview.

Nachdem er als Chef des Außenministeriums viel Mühe in die ukrainische Regelung investiert und die in den Minsker Abkommen enthaltene „Steinmeier-Formel“ vorgeschlagen hatte, stattete der Bundespräsident der russischen Hauptstadt anschließend einen sehr reichen Besuch ab. Er führte nicht nur Gespräche im Kreml, sondern traf sich auch mit Michail Gorbatschow, besuchte den Tschaikowsky-Konzertsaal und die Moskauer St.-Peter-und-Paul-Kathedrale. Anzumerken ist, dass der Vorgänger von Herrn Steinmeier, Bundespräsident Joachim Gauck, Moskau gegenüber weitaus kritischer war und nie nach Russland kam.

Frank-Walter Steinmeier verlor seine Neutralität