Bbabo NET

Nachrichten

Aktivisten beenden Protest gegen Atomkraftwerk in Deutschland nach 35 Jahren

Ein eisiger Wind blies an diesem Freitag (31) über das Kernkraftwerk in Brokdorf, das zwischen Feuchtwiesen und einem von einer dünnen Schneeschicht bedeckten Deich liegt. Eine kleine Gruppe, meist ältere Menschen, hängte am geschützten Tor des Atomreaktors ein gelbes Transparent: "Atomkraftwerke abschalten."

An einem grauen Wintertag im äußersten Norden Schleswig-Holsteins versammelt, kommen die Aktivisten meist aus der Region – einige kamen aber auch aus Hamburg und anderswo. Die Gruppe sang Friedenslieder und redete und schien gut an die klirrende Kälte angepasst. Kein Wunder: Seit 35 Jahren treffen sie sich jeden 6. des Monats vor dem Werkstor.

Sie hielten erneut eine Mahnwache zu Ehren der Opfer nuklearer Katastrophen und forderten die Abschaltung des Atomreaktors. Diesmal gibt es jedoch einen Unterschied: Diese 425. Uhr wird die letzte sein.

An diesem Freitag wurde das Kernkraftwerk Brokdorf im Rahmen des deutschen Atomausstiegsprogramms bis 2022 abgeschaltet. Der Reaktor war einer der umstrittensten in Deutschland und einer der produktivsten der Welt.

"Ich bin froh, dass es abgeschaltet wird", sagte Hans-Günter Werner, Pfarrer und Mitbegründer der Aktivisten-Initiative. "Ich bin nicht traurig, aber ein bisschen nostalgisch, weil ich weiß, dass wir uns so schnell nicht wiedersehen werden."

"Aber meistens bin ich erleichtert, dass der Kernkraftwerksbetrieb endlich zu Ende geht", fügte er hinzu. "Damals hätten wir nicht damit gerechnet, dass wir so lange hier bleiben müssen."

Erster Atomreaktor nach Tschernobyl

Inmitten der wachsenden Anti-Atomkraft-Bewegung in den 1980er Jahren protestierten Hunderttausende Menschen gegen den Bau des Atomkraftwerks in Brokdorf.

Mehrere Male kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei – insbesondere nach dem Atomunfall von Tschernobyl im Jahr 1986, der zu einer erhöhten Strahlenbelastung von Böden und Lebensmitteln in ganz Deutschland führte.

"Ich hatte kleine Kinder, die nicht im Sandkasten spielen konnten. Wir gerieten alle in Panik", sagte Werner.

Der Ende 1986 eingeweihte Kernreaktor Brokdorf war der erste weltweit, der nach der Katastrophe von Tschernobyl in Betrieb ging.

Damals protestierten Werner und einige Verbündete friedlich und beschlossen, die Demonstrationen fortzusetzen, wobei sie versprachen, sich einmal im Monat zu treffen, bis Brokdorf geschlossen wird.

Für ihn halfen „Widerspruch zeigen“ und Protestieren der Gruppe auch, „die eigenen Ängste zu bekämpfen“.

Erhöhtes Krebsrisiko und eine Eisbahn

Seine Befürchtungen waren nicht unberechtigt. Im Jahr 2008 zeigte eine deutsche Studie, dass Kinder, die in der Nähe eines Atomkraftwerks aufwachsen, einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, an Leukämie zu erkranken.

Trotzdem blieben die Mühlen inmitten dieser Gesundheitsgefahren geöffnet. Ein Grund könnten die jahrzehntelang hohen Einnahmen der Gemeinde Brokdorf durch eine Gewerbesteuer auf die Anlage sein. Lokalpolitiker wollten dieses Geld nicht aufgeben.

Das nur rund 1.000 Einwohner zählende Dorf konnte mit der AKW-Steuer eine 7-Millionen-Euro-Eisbahn finanzieren, und die Eintrittspreise für das öffentliche Schwimmbad mit 100-Meter-Wasserrutsche wurden extrem niedrig gehalten.

„Es ist eine wirtschaftliche Tätigkeit in unserer Gemeinde und als Gemeinde unterstützen wir immer unsere lokalen Unternehmen“, sagte Brokdorfs Bürgermeisterin Elke Göttsche.

Sie zog es vor, die Anlage länger in Betrieb zu halten, da dies den Umstieg auf erneuerbare Energien erleichtert hätte. Doch jetzt ist die Goldgrube für die Finanzierung von Atomreaktoren vorbei.

Neue Kraftwerke bauen

Während Deutschland bis Ende 2022 alle verbleibenden Atomkraftwerke aus dem Verkehr zieht, setzen andere Länder wie Frankreich, Großbritannien, USA, Indien, Russland und China weiterhin auf diese Art von Energie.

Weltweit sind noch etwa 440 Kernreaktoren in Betrieb, die etwa 10 % der Weltenergie liefern. Bis 2021 befanden sich etwa 50 Kernreaktoren im Bau, davon 18 in China.

Weitere 300 Kernkraftwerke sind derzeit in Planung. Inzwischen wirbt die Lobby für Atomkraft als vermeintlich saubere und vor allem klimafreundliche Alternative.

Der französische Präsident Emanuel Macron kündigte sogar an, dass Frankreich zum ersten Mal seit Jahrzehnten den Bau neuer, kleinerer Atomkraftwerke wieder aufnehmen werde, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen.

Die Emissionen aus Kernkraft sind deutlich geringer als die aus Kohle, Öl und Erdgas. Im Vergleich zu Wind- und Solarenergie kostet die Technologie jedoch viel mehr und der Bau von Atomkraftwerken dauert viel länger.

Militärische Gründe

Die Tatsache, dass Staaten immer noch Atomkraft einführen, hat laut Andrew Stirling, Professor für Wissenschafts- und Technologiepolitik an der University of Sussex, noch einen weiteren Grund.

"Weltweit haben Länder, die sich mehr der zivilen Nutzung der Kernenergie verschrieben haben, entweder auch Nuklearwaffen oder sind sehr daran interessiert, sie zu bekommen", sagte er. Laut Stirling ist die zivile Nutzung der Kernenergie oft notwendig, um Atomwaffenprogramme durchzuführen, was Frankreich und die USA einräumen.

Ohne die Ingenieure und Experten der kommerziellen Atomkraftindustrie wäre es beispielsweise unmöglich, Atom-U-Boote zu bauen, erklärte Stirling.

"Die US-Berichte sind absolut eindeutig. Selbst wenn die Kosten für Atomkraft verdoppelt würden, wäre es immer noch sinnvoll, Reaktoren zu bauen, weil sie so ihre militärischen Aktivitäten aufrechterhalten können", sagte er.

Letzte Wache

Bei Kaffee, Kuchen und Kürbissuppe erinnerten sich Brokdorf-Aktivisten an 35 Jahre Proteste. Sie sahen sich Fotos an, darunter auch Bilder aus privaten Alben.

Obwohl Brokdorf am Freitag seinen Betrieb eingestellt hat, wird die Anlage noch über Jahrzehnte als Zwischenlager für Atommüll dienen. Es gibt noch kein Endlager für radioaktive Abfälle.

"Unser Engagement ist also noch nicht vorbei", sagte ein Aktivist. Kurz darauf fing jemand an, Gitarre zu spielen.

Demonstranten verließen singend die Fabrik in Brokdorf. Erstmals seit 35 Jahren gehen auch sie als Gewinner hervor.

Aktivisten beenden Protest gegen Atomkraftwerk in Deutschland nach 35 Jahren